Am 7. Juni 2023 wird Dr. Thomas de Maizière den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg eröffnen. Am 14. Juni darf die KD-Bank den Kirchentagspräsidenten als Gastredner der Generalversammlung in Dortmund willkommen heißen. Den „Perspektiven“ gab er vorab ein Interview – zu Losung und Zielen des Kirchentags, zu Streitkultur und ehrenamtlichem Engagement.
Interview mit Dr. Thomas de Maizière
Streiten erfordert gegenseitigen Respekt

Foto: www.thomasdemaiziere.de
Interaktiv: Ausgabe 1 | 2023
4. April 2023
Perspektiven: Herr Dr. de Maizière, was war der ausschlaggebende Grund dafür, die Präsidentschaft für den 38. Evangelischen Kirchentag zu übernehmen?
Dr. Thomas de Maizière: Seit vielen Jahren bin ich bereits Präsidiumsmitglied. Da war es für mich eine Ehre und Freude, gefragt worden zu sein, Präsident dieser wunderbaren und großen zivilgesellschaftlichen Plattform zu werden. Es gibt nirgendwo sonst die Gelegenheit, mit so unterschiedlichen Menschen guten Willens zusammenzukommen.
Was ist Ihr wichtigstes Ziel, das Sie in dieser Funktion verfolgen, und wie setzen Sie es um?
Dr. Thomas de Maizière: Der Kirchentag 2023 in Nürnberg ist der erste, der seit Beginn der Corona-Pandemie wieder in Präsenz stattfinden kann. Wir wissen, wie sehr sämtliches ehrenamtliches Engagement – und davon leben nun einmal sowohl das alltägliche Gemeindeleben als auch Veranstaltungen wie der Kirchentag – in den letzten Jahren gelitten hat. Außerdem befindet sich die Kirche selbst in einem Umbruch. Die Christinnen und Christen können und müssen in einer sich verändernden Umwelt zeigen, wofür sie stehen: dafür, dass in aller Verschiedenheit und Vielfalt ein solidarisches Miteinander möglich ist. Wir wollen eine gute Streitkultur leben und zeigen. Der Kirchentag ist ein Raum, in dem alle eine Heimat finden können. Und wir haben die beste Botschaft der Welt, die Halt und Hoffnung in schwierigen Zeiten bietet.
Im Oktober 2021 haben Sie im Kontext Ihrer Wahl zum Kirchentagspräsidenten gefordert: Die Kirchen müssten wichtige aktuelle Themen substanzieller diskutieren. Stichwort: mehr Debattenqualität! Wie schätzen Sie diese derzeit ein und was tun Sie, um die Qualität zu fördern?
Dr. Thomas de Maizière: Waffenlieferungen, Energiesicherheit, Vertrauensverlust in Staat und Institutionen – wir stehen gerade vor vielen gleichzeitigen Herausforderungen, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Hier gilt es, um Antworten zu ringen, ja sogar klug und engagiert zu streiten. Aber die Frage ist immer: Wie streiten wir? Fair und faktenorientiert? Oder wird das Gegenüber abgekanzelt? Hat die eine Seite immer schon alles besser gewusst und die andere die Wahrheit gepachtet? Auf dem Kirchentag wollen wir anders streiten: Trotz unterschiedlicher Meinungen erkennen wir an, dass auch unser Gegenüber am Ende auch nur nach der besten Lösung sucht. Dieser Respekt und diese grundlegende Anerkennung fehlt heute oft in Debatten.
Die Losung des 38. Evangelischen Kirchentags lautet: „Jetzt ist die Zeit (Mk 1,15)“, ergänzt durch die Worte „Hoffen. Machen“. Stehen diese Begriffe nicht im Widerspruch zueinander? Hoffen als eher passives Warten, Machen als aktives Tun? Was drückt das Wortpaar für Sie persönlich aus?
Dr. Thomas de Maizière: Die Losung steht für sich. Das Hoffen und Machen ist nicht Teil der Losung, soll aber zeigen, worum es geht. Zeitendeutung ist der erste Schritt. Das geschieht aus Hoffnung. Das ist für mich keinesfalls etwas Passives, eher im Gegenteil! Hoffen bedeutet, nicht im Angesicht der ganzen Herausforderungen unserer Zeit den Kopf in den Sand zu stecken, sich nicht zurückzuziehen und zu erklären, dass ein Problem zu groß oder zu komplex ist, um es angehen zu können. Hoffen ist genau das Gegenteil davon. Hoffen ist Glauben daran, dass sich Dinge ändern können. Am Ende ist Hoffen damit die Grundlage für unser gesamtes Handeln, also unser Machen. Denn in der Tat muss aus Hoffnung das Tun im Leben, das Machen folgen.
Welchem Sustainability Development Goal fühlen Sie sich als Kirchentagspräsident ganz besonders verpflichtet und wie fördern Sie es?
Dr. Thomas de Maizière: Der Kirchentag will nicht nur in seinem Programm die Debatten um eine nachhaltigere Welt aufgreifen, sondern engagiert sich auch selbst für die Bewahrung der Schöpfung: Wir setzen zum Beispiel auf Bio-Verpflegung aus regionalem Anbau, auf Ökostrom, soziale Beschaffung und die Mobilitätswende. Mehr als alles andere steht der Kirchentag aber für Ziel 17 der SDG: Partnerschaften zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Der Kirchentag bringt Menschen, Projekte und Initiativen an einen Tisch, die die Vision von einer besseren Welt teilen. Austausch, Vernetzung und voneinander lernen: Das steht beim Kirchentag ganz weit oben.
Sie sind ehrenamtlich sehr vielseitig engagiert: für Stiftungen zur Förderung von Forschung, Wissenschaft, Technik, Bildung etc. über die Ethikkommission des Deutschen Olympischen Sportbunds bis hin zur Stiftung 20. Juli 1944. Welches Kriterium ist für Sie maßgeblich, bevor Sie sich für ein Ehrenamt entscheiden?
Dr. Thomas de Maizière: Die Ziele der Organisation, der ich helfe, müssen mich überzeugen. Es muss um Zukunft gehen und um junge Menschen. Und in der Summe darf es nicht zu viel werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Thomas de Maizière
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister a. D., ist Präsident des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg. Für Mitglieder und Gäste der Generalversammlung der KD-Bank am 14. Juni 2023 spricht er über dringliche Handlungsfelder für Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft.