INTERVIEW

Martin Niemöller – mehr als ein Namensgeber

Im Oktober 2021 ist das Martin-Niemöller-Konferenzhaus der Bank für Kirche und Diakonie in Münster offiziell eröffnet worden. Gastredner war an diesem Abend Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber. Im Interview erläutert er, welche Rolle das Erbe Martin Niemöllers heute in der Bank für Kirche und Diakonie spielen kann.

Interaktiv: Ausgabe 3 | 2021

9. Dezember 2021

Herr Professor Huber, im Oktober waren Sie anlässlich der offiziellen Eröffnung im Martin-Niemöller-Konferenzhaus der Bank für Kirche und Diakonie in Münster zu Gast. Hat Sie die Einladung überrascht?

Prof. Wolfgang Huber: Im ersten Moment ja. Denn erst mit der Einladung geriet für mich eine völlig andere Epoche in Martin Niemöllers Wirken in den Blick: Nicht der Begründer des Pfarrernotbunds in Dahlem und der persönliche Gefangene Adolf Hitlers in Sachsenhausen trat in Erscheinung, sondern der erste hauptamtliche Geschäftsführer der Inneren Mission für die westfälische Kirchenprovinz, der im Rahmen dieses Amts 1927 – unter anderem mit Fritz von Bodelschwingh – die Evangelische Darlehensgenossenschaft Münster gründete.

Das Leben von Martin Niemöller war sehr facettenreich. Wie blicken Sie auf ihn?

Prof. Wolfgang Huber: Wer etwas mit dieser bedeutenden großen Figur des deutschen Protestantismus verbindet, mag sich fragen, welche Seiten dieser Biografie ihm oder ihr selbst als Erstes entgegengetreten sind.  Für mich war es zweifelsohne der Friedenskämpfer. Ich hörte von dieser Lebensphase Niemöllers zum ersten Mal persönlich Ende der 1950er-Jahre; in dieser Zeit war die evangelische Kirche einer erheblichen Zerreißprobe in den Fragen der Wiederbewaffnung und der Atomrüstung ausgesetzt. Ich war 15 Jahre jung, und noch nicht oft war mir eine so kritische Haltung zur neuen Bundesrepublik entgegengetreten. Erst viel später wurde mir klar, dass in dieser Haltung zur neuen Demokratie ein nationalprotestantisches Ethos zum Ausdruck kam, das Niemöllers Lebensweg weit länger geprägt hat, als manche meinen.

Die heutige Bank für Kirche und Diakonie sieht sich in der Nachfolge der von Niemöller mitgegründeten Darlehensgenossenschaft der Westfälischen Inneren Mission. Was können wir für die Herausforderungen der aktuellen Zeit von ihm lernen?

Prof. Wolfgang Huber: Niemöller wurde einmal ganz kurz und prägnant charakterisiert: fleißig, genau, klug und praktisch. Diese Charakterisierung mag eine gute Leitlinie für den Geist sein, der in diesem Haus bei Gesprächen und Konferenzen herrscht. Ein rundes Jahrhundert trennt uns von Niemöllers; das ist ein langer Zeitabschnitt, den ich nicht durch den Hinweis verkleinern will, dass meine Frau und ich ziemlich genau die Hälfte dieser Zeit zu den Kunden der Bank gehören. Beide Hälften des Jahrhunderts sind durch dramatische Brüche und Aufbrüche gekennzeichnet. Der Hinweis auf die Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg, auf die deutsche Teilung und Wiedervereinigung unseres Lands soll zur Illustration genügen. Nun stellt sich die Frage, welche Kennzeichen die Zukunft bestimmen werden und wie eine evangelisch geprägte Bank auf diese Entwicklungen reagieren wird und kann.

Können Sie dies konkretisieren?

Prof. Wolfgang Huber: Ich habe hier exemplarisch besonders drei Aspekte im Blick. Naturgemäß war die Übernahme digitaler Möglichkeiten für eine Fernbank vom ersten Augenblick an eine unbedingte Verpflichtung. Und für die Kunden war es eine praktische Lebenshilfe, digitalen Angeboten gar nicht ausweichen zu können. Dass trotzdem der persönliche Kontakt zu den Kunden nicht vernachlässigt wird, sondern seine eigene Gestalt bekommt, ist ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung die Qualität menschlicher Beziehungen und personaler Unterstützung nicht zu mindern braucht.

Der zweite Aspekt ist der Gemeinwohlaspekt. Für Niemöller, so wird berichtet, war ein wichtiger Anstoß für die Bankgründung ein konkreter Geldmangel bei dem Vorhaben, einen Kindergarten zu bauen. Dafür machte er Gebrauch von dem Genossenschaftsgedanken Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Dieser Gedanke ist keineswegs überholt, sondern gewinnt in manchen Bereichen erneut an Aktualität, ja sollte sich verstärkt durchsetzen, beispielsweise im Wohnungsbereich. Entscheidend ist dabei das Einsetzen von verfügbarem Geld in einer Weise, die gemeinnützige Vorhaben finanzierbar macht. Der wirtschaftliche Vorteil gemeinnütziger Unternehmungen, der darin besteht, dass ihre Erträge nicht von Shareholdern abgeschöpft, sondern in wirtschaftlich kompetenter Weise den Aufgaben zugeführt werden können, denen die gemeinnützigen Träger dienen wollen, muss auch heute in Diakonie und Kirche eingesetzt und fruchtbar gemacht werden. Dass die KD-Bank, auch durch ihre Stiftung, die Verpflichtung auf diese Idee ihrerseits erkennbar macht, ist ein wichtiges Element, das ich auch in Zukunft für unentbehrlich halte.

Der dritte Punkt ist natürlich die ethische Nachhaltigkeit. Die KD-Bank hat nach meiner Einschätzung noch immer gegenüber anderen Banken einen Vorsprung in der Konzentration auf ethisches Investment. Sie hat sich diesem Thema schon zugewandt und ihren Kunden Angebote gemacht, als in anderen Bereichen der Finanzwirtschaft noch die Idee vorherrschte, dass man mit einer solchen Strategie nicht erfolgreich sein könne. Ich möchte meinen Dank dafür ausdrücken, dass diese Frage inzwischen eine so große Rolle spielt, und ich hoffe, dass sich diese weiter verstärkt, das gesellschaftliche Bewusstsein beeinflusst und nicht nur als Merkmal ethisch verantworteten Bankings, sondern ebenso als Merkmal ethisch verantworteten Wirtschaftens insgesamt verstanden wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bank sich bereits mit ihrer Gründungsidee – also vor beinahe einhundert Jahren – ethisch nachhaltig aufgestellt hat. Doch die Begrifflichkeit war damals nicht vertraut. Und die Dimensionen nachhaltigen Handelns haben sich seitdem erheblich erweitert.
 

Vielen Dank, Herr Professor Huber.

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